Wenn Kirchenüren offen sind

«Hier kann ich einfach sein!»

Kirchen könnten ihren ungenutzen Raum zur Verfügung stellen
Wenn Kirchen und Gemeinden eines zu bieten haben, das für fast alle interessant ist, dann ist es Platz. Aus solchen Raumangeboten kann schnell mehr werden, wenn deutlich wird, dass hier jede und jeder kommen darf und Raum für sich findet.

Wirtschaft funktioniert nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Das lässt sich nicht eins zu eins auf Glaubensdinge übertragen, aber manchmal bietet dieses Denken hilfreiche Perspektiven. Zum Beispiel bei dem immer wieder diskutierten Leerstand von Kirchen und Gemeindehäusern. Man kann darüber jammern, dass Gottesdienste schlechter besucht werden als früher und die Räume viele Landes- und Freikirchen unter der Woche oft kaum genutzt werden, oder man kann die Tür öffnen, denn Räume werden gesucht.

Kirchen als Freiräume

Der Hamburger Pastor Michael Ellendorff entfaltet diese Idee in einer Radioansprache: «Es gibt immer weniger Freiraum in der Stadt. Immer weniger Räume und Orte, die nicht kostenpflichtig sind. Wo ich sein kann, mich aufhalten kann – ohne etwas bestellen zu müssen. Oder Eintritt zu bezahlen.» Dafür schlägt er Kirchen und Gemeindehäuser vor. Er will nicht zu erweiterten Gottesdiensten einladen, sondern den Raum, der vorhanden ist, teilen. «Kommt zu uns. Kost nix. Kaffee und Kuchen bringt ihr euch selber mit. Eine Decke für die Wiese auch», ruft er denjenigen zu, die es interessieren könnte.

In vielen Gemeinschaften wird sich daraufhin erst einmal Skepsis breitmachen: Wollen Leute das überhaupt? Ob sie kommen? Oder noch schlimmer: Was machen wir, wenn viele kommen? Dann müsste die Gemeinde sich ja überlegen, wie sie damit umginge. Im Handel gibt es den augenzwinkernden Satz: «Achtung: Kunde droht mit Auftrag!» Nichts anderes würde in der Kirche passieren, wenn Christen, die gern Menschen erreichen würden, tatsächlich Menschen erreichen. Die kämen zwar nicht zu einem Gottesdienst, aber vielleicht prägt es sie trotzdem, dass sie hier einfach Raum finden und «sein» dürfen. Ellendorff meint jedenfalls: «Schauen wir doch mal, was passiert, wenn wir Kirchen und Gemeindehäuser, die angeblich nicht mehr gebraucht werden, als Freiräume zur Verfügung stellen.»

Säle zum Vermieten

Eine weitere Möglichkeit, kirchliche Räume für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ist die Vermietung. Säle in der Grösse von Gottesdiensträumen sind selten. Sie eignen sich für Konzerte der Volkshochschule oder örtlichen Rockband genauso wie für Vorträge oder Festveranstaltungen der benachbarten Schule, die keine Aula mehr hat. «Passt das denn in unsere Umgebung?», fragen da manche Kirchenmitglieder. Es passt genauso gut wie Gottesdienste von Gemeinden ohne eigene Räume in Volkshallen oder Kinosäle passen. Die Säle von Freikirchen sind meist neutraler gestaltet und lassen sich leichter für andere Events nutzen, klassische Kirchen tun sich hier oft schwerer, doch bei der Neuplanung wird immer öfter an eine flexible Nutzung gedacht – dann steht kein tonnenschwerer Altar vorne, sondern eine leicht bewegliche Variante. Und trotzdem kann das Ganze sehr nach Kirche aussehen wie zum Beispiel beim aktuellen Raumkonzept «Kirche in der Kirche» in evangelischen Erlöserkirche Fürstenfeldbruck.

Einladung zur Gottesbegegnung

Bei diesen und vielen weiteren Möglichkeiten der Fremdnutzung steht schnell die Frage im Raum, ob die Kirche dadurch nicht das letzte bisschen Profil verliert, was sie noch hat. Sind solche Gedanken Auflösungserscheinungen oder bieten sie neue Chancen? Tatsächlich ist beides ist möglich. Eine Politik der offenen Türen kann zum Verlust der eigenen Identität führen, sie kann aber auch Ausdruck der Offenheit für alle Menschen sein, die der Glaube bietet.

Bestenfalls führt sie Christinnen und Christen wieder zum ursprünglichen Gedanken zurück, dass nicht die Räume heilig sind, in denen sie sich versammeln, sondern die Menschen darin, die sie mit Leben füllen. Wer anderen einen Raum zur Verfügung stellt, erreicht damit oft viel mehr. Die Hauskirchenbewegung kennt das missionarische Motto: «Öffne deine Tür, öffne deinen Kühlschrank, öffne dein Herz.» Wenn Kirchen oder Gemeinden anderen Räume zur Verfügung stellen, ist das nicht in erster Linie missionarisch, aber es dient anderen Menschen und kann eine Brücke zu ihnen schlagen. Was meinte Michael Ellendorff? «Schauen wir doch mal, was passiert…»

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Datum: 22.04.2024
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet

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