Über Niederlagen reden

Ein Talk zum Buch «Scheitern erwünscht»

Ein schonungslos offenes Buch übers Scheitern. Dafür mögen sich heute viele interessieren. Grund genug, auch im Livenet-Talk darüber zu sprechen.
Evi Rodemann (Bild: Facebook)
Buchcover

Wie bereits im Livenet-Talk mit Thomas Härry, zu dessen Buch «Die dunkle Seite der Macht», geht es auch diesmal wieder um einen eher schwierigen Aspekt von Leiterschaft. Erneut steht ein Buch im Mittelpunkt: «Scheitern erwünscht» von Evi Rodemann. Weitere Talkgäste sind Andreas Timm (Pastor im Christus Centrum Tostedt) und Alexander Hirsch (Pastor Anskar-Kirche Marburg).

Wenn leidenschaftliches Leiten zu Leiden führt

«Wenn du nicht leidest an deiner Leitung, dann leitest du wahrscheinlich nicht.» Mit diesen Worten unterstreicht Evi Rodemann das Thema des Talks. In ihrem Buch «Scheitern erwünscht», welches den inhaltlichen Boden des Talks legt, berichtet Evi offen von ihrem persönlichen Scheitern. Als ihr per Telefon ihre Leitungsverantwortung entzogen wurde, riss ihr das den Boden unter den Füssen weg. «Das war ganz, ganz schlimm. Ich habe mich leergeheult wie nie zuvor in meinem Leben.» Sie durchlebte eine emotionslose Phase und glaubte eine Zeitlang nicht, jemals wieder in der christlichen Welt eine Leitungsaufgabe zu übernehmen. «Es war eine sehr dunkle Zeit», sagt sie heute und spricht sogar von einer unerwartet dunklen Seite ihrer Seele. Diese Zeit hat sie nur mit Hilfe ihres Mentors, ihrer Familie und Freunden durchgestanden. Es sei auch zentral wichtig gewesen, an Gott dranzubleiben und sich Zeit zu nehmen, um zu vergeben und Heilung zu empfangen.

Worin gründet sich unsere Identität?

In Krisen erkennen wir, worin unsere Identität gegründet ist. In ihrem Buch berichtet Evi, wie Schmerz und Leid entstehen, wenn der persönliche Wert in einer Position oder im Erfolg gesehen wird. In Zeiten der Krise lernte sie, wo sie von Gott und wo von Menschen abhängig war. Deshalb sind Krisen wertvoll, gerade auch dann, wenn sie ohne sichtbares Ende ausgehalten werden müssen. «Zwischenzeiten und ungewisse Übergangsphasen sind ungemütliche Orte.» Dieses Zitat aus ihrem Buch bringt es auf den Punkt.

Von Menschen lernen

Was Evi am meisten motivierte, waren Geschichten anderer Menschen. Einige davon hat sie in ihr Buch reingenommen. Im Livenet-Talk sind zwei Mitwirkende zu Gast. Andreas Timm, Pastor im Christus Centrum Tostedt hat im Buch über Selbstwahrnehmung und Zynismus geschrieben. Er sagt: «Mich begeistert Evis offene Art über dieses Thema zu sprechen.» Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sind heute attraktiv und Andreas ist überzeugt, dass wir eine Theologie des Scheiterns zulassen müssen. Nach der «Wurmtheologie» seien wir zu einer «Sieg-Theologie» übergegangen und müssten nun die Mitte finden.

Stolperfallen erkennen

Die klassischen Stolperfallen werden in zahlreichen Büchern erwähnt. «Ein ganz wichtiger Punkt ist Selbstwahrnehmung», sagt Andreas Timm. Menschen, die uns reflektieren, seien sehr wichtig. Weiter müsse ein Leiter lernen, mit Enttäuschungen, Niederlagen und auch Verrat umzugehen, damit er nicht in die Falle von Zynismus oder Sarkasmus gerät.

Auch mit einer Angst vor Versagen sei niemandem geholfen. «Mit unseren Entscheidungen werden wir immer Menschen verletzen», hält Evi fest und rät «den Schmerz unserer Leiterschaft zu umarmen.» Diese negativen Dinge zu erleben, bedeute nicht, dass sie eine schlechte Leiterin sei.

Scheitern darf kein Tabu sein

«Eigentlich möchte man sich nicht mit dem Thema des Scheiterns beschäftigen, aber es ist wichtig, darüber zu reden», sagt Alexander Hirsch, Pastor der Anskar-Kirche Marburg und Gesamtleiter der gleichnamigen Bewegung in Deutschland. Er unterstreicht, dass ein Hinfallen nicht als Scheitern bezeichnet werden soll. Während ein Hinfallen eine Niederlage bedeutet, von der wir uns erholen können, beschreibt er Scheitern als «Ende der Fahnenstange». An dieser Stelle ergänzt Evi, dass unbedingt geklärt werden muss, woran wir Erfolg messen. Ist es etwas zahlenmässiges? Oder geht es darum, Menschen zu lieben?

Grundsätzlich wird gewünscht, dass Leiter sich mit der Gemeinde oder Organisation identifizieren. Es kann aber auch zu viel sein. «Wenn jemand die Länge des Gottesdienstes kritisierte, empfand ich das als persönliche Kränkung», erzählt Alexander. «Schliesslich war der Gottesdienst mein Baby.» Da musste er sich schon korrigieren. Andererseits könne es aber nicht sein, dass Leiter über ihre Gemeinde lästern. «Wie kannst du da irgendetwas bewegen?» Es ist wichtig, den richtigen Weg zu finden.

Einsatz ohne Ende

Zu einer gesunden Identifikation mit der Gemeinde oder Organisation gehört auch das Thema des masslosen Einsatzes. Evi skizziert aber auch Menschen, deren Angst vor einem Burn-out dazu führt, niemals für etwas zu brennen. «Ich wünsche mir die Leidenschaft, für Gott alles zu geben.» Gott sei es wert, auch mal eine Extrameile zu gehen. Andererseits ist Vorsicht geboten, sich nicht zu stark zu verausgaben. «Ich möchte meinen Lauf bis zum Ziel laufen können», beschreibt Evi ihr Ziel und lehnt sich damit an Paulus an.

Im weiteren Verlauf des Talks geht es darum, wie junge Menschen gefördert und als Leiter aufgebaut werden können. Die Talk-Gäste bringen unterschiedliche Aspekte rein. Und zum Schluss teilt Evi noch einige Gedanken, wie sie als Frau ihre Leitungsfunktion versteht.

Informationen zum Buch:
«Scheitern erwünscht!» von Evi Rodemann. SCM Verlag, CHF 27.70. Hier geht es zum Kauf.

Hier geht es zum Livent Talk mit Evi Rodemann, Andreas Timm und Alexander Hirsch: 

Zum Thema:
Talk mit Thomas Härry: Von der dunklen Seite der Macht!
Speakerinnen-Plattform: Frauen eine grössere Stimme geben
Entschämt euch!: Scheitern ist ganz normal – oder?

Datum: 11.02.2022
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet

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